Textadventure "Stories Untold" - Woher kommt die reale Spannung im virtuellen Spiel?

Aus hyperdramatik
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Mit der Zeit entstehen immer mehr Möglichkeiten die unterschiedlichsten Medien weiterzuentwickeln und miteinander zu kombinieren. Dabei werden allerdings die Ursprünge dieser Medien immer stärker verwischt. Nicht nur der reale Entwicklungsprozess der Medien als Mittel zum Zweck verschwindet, sondern auch die Medien, die die fiktiven Inhalte vermitteln, während der Vermittlung selbst. Das Medium funktioniert also als Mittel der Vermittlung zwischen den Konsument*innen und dem Inhalt zum Zweck der Fiktion. Durch diese wird das vermittelnde Medium im besten Fall selbst vergessen und die Fiktion erscheint den Konsument*innen unmittelbar als virtuelle Realität (Virtual Reality). Selbst wenn sich das Medium inhaltlich mit seiner eigenen Medialität auseinandersetzt und sich beispielsweise selbst in der fiktiven Welt abbildet, verschwimmen bei den Rezipient*innen immer stärker die Grenzen zwischen Realität, Fiktion und dem Medium an sich. Mit diesem Thema haben sich Jay David Bolter und Richard Grusing in „Remediation. Understanding New Media“ auseinandergesetzt. Sie führen Begriffe wie Immediacy, Hyperimmediacy und Remediation ein, um sich diesem komplexen Feld anzunehmen. Immediacy meint die Unmittelbarkeit der Medien, die durch die Hypermediacy verstärkt wird. Hier wird das Medium eben in der Fiktion als solches mitreflektiert und dadurch selbst zum Thema. So wird die Unmittelbarkeit des eigentlich realen Mediums unterstützt. Die unterschiedlichen Ebenen der virtuellen Realität stiften bei den Konsument*innen Verwirrung und lassen sie so leichter in der Fiktion verlieren.

Besonders deutlich wird das an dem Beispiel von „Stories Untold“. Ein textbasiertes Computerspiel, in dem die Spieler*innen den Charakter einer Protagonist*in annehmen, die ebenfalls ein Computerspiel spielt. Nachdem man als Spieler*in in das Grundsetting eingeführt wurde, befindet sich der Spielcharakter an einem virtuellen Schreibtisch, auf dem ein Computer aus den 80er Jahren steht. Auf diesem läuft ein Textadventure, dass gespielt werden soll. Als Spieler*in hat man nun nur eine Möglichkeit die Handlung voranzutreiben: Selbst das Textadventure zu spielen und so Zeile für Zeile darauf zu hoffen, dass noch mehr passiert als ein Computer im Computer. Anders als in den ersten Spielminuten erwartet, verschwindet während des Spielerlebnisses allerdings langsam das Bewusstsein für das Spiel im Spiel, da man sich zuerst in die virtuelle Realität der Protagonist*in, die ein Textadventure spielt hineinversetzt und sich im weiteren Verlauf gänzlich im medialen Erlebnis des Textadventures verliert. Auch audiovisuell passiert während des Spielens einiges: Lichter am Schreibtisch flackern von Zeit zu Zeit und gruselige Geräusche kommen in einigen Momenten aus den Lautsprechern. Als Spieler*in werden die realen Sinne geschärft und man reagiert durch die ebenfalls reale Anspannung hoch sensibel auf diese kleinen Sound- und Lichteffekte. Dem Spiel „Stories Untold“ glückt es, sich mit sich selbst als Medium durch eine Remediation des interfaces, dem Computer aus den 80er Jahren, auseinanderzusetzen und so die virtuelle Realität zu einem allumfassenden Erlebnis zu machen. Obwohl man als Spieler nur das Textfeld im virtuellen Computer füllen und den Bildausschnitt am virtuellen Schreibtisch nur minimal durch die Maus perspektivisch verändern kann, erschrickt man sich regelmäßig und folgt dem Spielverlauf gespannt.

L.J.

Vgl.: Bolter, Jay David; Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media. USA, 2000 (S.20-52)